Der Mann, der Leiterplatten auf Bäumen wachsen lassen will

Der Physiker Hans Kleemann von der TU Dresden will aus Blättern Leiterplatten machen. Das könnte die Elektronik ein Stück weit revolutionieren. Um sein Vorhaben umzusetzen, wurde er jetzt mit dem Joachim Herz Preis ausgezeichnet.

Jeder von uns benutzt sie täglich viele Male, ohne es merken. Leiterplatten! Diese meist grünlichen Platten, auf denen Leiterbahnen aus Kupfer wie Straßen entlanglaufen, sind im Grunde die Steuerungselemente aller elektrischen Geräte: Im Smartphone, im Notebook, im Fernseher, selbst eine elektrische Zahnbürste würde nicht ohne eine Leiterplatte funktionieren. 

Privatdozent Dr. Hans Kleemann hebt mit der linken Hand eine Leiterplatte hoch, sie ist handtellergroß, ein umfangreicheres Exemplar aus einem Computer. „So sieht die Leiterplatte heute noch aus. Sie ist ein Segen für die elektrisierte Welt – und zugleich eine riesige Belastung“, sagt Kleemann. Der Physiker und Arbeitsgruppenleiter an der TU Dresden sitzt in seinem hellen Büro im Institut für Angewandte Physik und zwinkert: „Schauen Sie auf meine andere Hand. Wenn ich die gleich hochhebe, verstehen sie direkt, was wir vorhaben und welchen Unterschied das machen kann.“

Das Problem, das Kleemann anspricht: Die grünen Leiterplatten sind nach der Nutzung enorm schwer zu entsorgen und auch kaum zu verwerten. „Denn sie bestehen vor allem aus einer Glasfasermatte, die mit einem Epoxidharz umgossen und letztlich durch nichts zu zerstören ist außer durch Verbrennen bei sehr hohen Temperaturen. Das ist aber zu aufwändig und verbraucht nur noch viel mehr Energie“, sagt Kleemann. Also werden sie gehäckselt und zum Beispiel in Versatzbergwerken eingelagert. Dauerhafter Müll, im Grunde für die Ewigkeit.

Warum nachhaltige Leiterplatten dringend gebraucht werden: Elektronische Geräte gehören zu unserem Alltag – und mit ihnen eine wachsende Umweltbelastung. Weltweit entstehen jährlich rund 62 Millionen Tonnen Elektroschrott. Etwa 60 Prozent davon entfallen auf gedruckte Leiterplatten. Diese werden aus nicht-nachwachsenden Rohstoffen hergestellt und lassen sich nur mit großem Aufwand recyclen. Die Folge: ein stetig wachsender Berg langlebiger Abfälle. Hier setzt Hans Kleemanns Forschung an – mit dem Ziel, die Elektronik von morgen nachhaltiger, ressourcenschonender und biologisch abbaubar zu gestalten.

Eine Leiterplatte, die auf Blättern von Bäumen basiert

Der Physiker Hans Kleemann will Leiterplatten auf Bäumen wachsen lassen

Die Lösung, die Hans Kleemann und sein Team vorschlagen und für deren weitere Entwicklung er den diesjährigen Forschungspreis der Joachim Herz Stiftung erhalten hat, hält der Physiker jetzt in der anderen Hand. Es ist auf den ersten Blick erkennbar: eine Art Skelett eines Blattes, filigran und flexibel, aber auch hochstabil, nur völlig weiß, das Grün fehlt. Das liegt daran, dass die Blätter mit biotechnologischen Verfahren – Hefen oder Bakterien – so verwandelt werden, dass vor allem ein Gerüst aus einer Substanz namens Lignin übrigbleibt, das auch bei 500 Grad Celsius noch nicht zerfällt. „Wenn wir ungefähr zehn solcher Blattskelette – dieses stammt von einem Magnolienblatt – übereinanderlegen, zusammenpressen und zum Beispiel mit Ethylcellulose oder Gelatine umgießen, dann haben wir eine Leiterplatte, die fast genauso widerstandsfähig ist wie herkömmliche Leiterplatten“, sagt Kleemann. 

Vereinfacht gesagt: Hans Kleemann will Leiterplatten auf Bäumen wachsen lassen. Dieser Satz beschreibt gut, wie verrückt und zugleich genial dieser Plan ist.

Leiterplatten sind Kleemanns Herzensthema

In diesem Schnellkochtopf hat Kleemann die ersten Blätter in seinem Büro ausgekocht. Schon als Kind lötete er zuhause an Leiterplatten, die Faszination dafür gibt er heute auch an seine Kinder weiter

Am Ende geht es darum, ob das preislich machbar ist. „Und das ist es“, sagt Kleemann überzeugt. Das konnte seine Forschung im Rahmen des Projekts „UnbeLEAFable“ – angelehnt an das englische Wort für Blatt – bereits zeigen. Das hat mehrere Gründe: So sind Blätter deutlich günstiger zu bekommen als die Glasfasermatte und das Epoxidharz. Außerdem ist der Herstellungsprozess weit weniger energieintensiv. „Und wenn dann noch auf regulatorischer Seite etwas getan wird, also etwa eine energiesparende Produktion zusätzlich gefördert und belohnt wird, dann könnten die Leiterplatten aus Blättern sogar einen deutlichen Vorteil gegenüber herkömmlichen Leiterplatten haben“, sagt Kleemann und lächelt.

Der 41-Jährige lächelt viel, wenn es um seine Leiterplatten aus Blättern geht. Nicht nur, weil das sein Herzensthema ist. „Das vierte oder fünfte Wort, was meine Kinder sagen konnten, war Leiterplatte. Das liegt daran, dass wir in der Küche zusammen damit experimentiert hatten“, sagt Kleemann. Auch, weil das Thema fast überall sofort auf Begeisterung stößt. Das Interesse ist riesig, auch weil das Thema Nachhaltigkeit in den letzten Jahren sehr hoch im Kurs steht. „Ich habe das Projekt nicht bewusst nach diesen Kriterien ausgesucht. Aber ‚UnbeLEAFable‘ könnte tatsächlich einen Unterschied machen in einem Bereich, in dem von Nachhaltigkeit bisher keine Rede war“, sagt Kleemann.

Die Leiterplatten von Kleemann fügen sich in natürliche Kreisläufe ein

Ähnliche Ansätze verfolgen auch einzelne andere Forscherteams, die Leiterplatten aus Naturfasern entwickeln. Allerdings ist die Herstellung hier noch etwas aufwändiger, auch, weil eben das Blättergerüst nicht genutzt wird. Außerdem ist die Verfügbarkeit von Blättern besonders hoch. „Sie sind letztlich ein Abfallprodukt der Natur, das natürlich in den Kreislauf eingespeist wird in Form von Humus. Aber es stört da nicht, dass wir es durch unseren Ansatz nutzen, im Gegenteil“, sagt Kleemann.

Und nach der Verwendung sind die Blätter weiter verwertbar. Zwar nicht im Sinne eines geschlossenen Kreislaufs, dass sie zu neuen Leiterplatten werden. „Solche engen Kreisläufe sind ohnehin selten. Die Natur ist ein Riesenkreislauf. Daher geht es auch eher um offene Kreisläufe“, sagt Kleemann. So könnte die Zellulose zum Beispiel mit Enzymen zersetzt werden und dabei womöglich zugleich etwas anderes produziert werden. 

Ans Ende der Lebenszeit der Leiterplatte braucht man ohnehin nicht so schnell zu denken. Denn Prototypen von Kleemanns Leiterplatten zeigen, dass diese eine fast ebenso lange Lebensdauer haben wie herkömmliche Leiterplatten und unter Raumbedingungen mehrere Jahre stabil bleiben.

Bislang sind die Prototypen sogenannte „feste“ Leiterplatten. Das heißt, sie werden eher in Computern verwendet, weniger in kleineren Geräten. Nun will Kleemann auch einen Prototyp einer sogenannten „flexiblen“ Leiterplatte entwickeln, auf die auch die herkömmliche Industrie beginnt umzuschwenken, da sie in kleineren Geräten eher Platz finden. Das Entwickeln einer flexiblen Leiterplatte aus Blättern ist eines der drei Vorhaben, die er mithilfe der 500.000 Euro Preisgeld des Joachim Herz Preises vorantreiben möchte. Um später einmal auf den Markt zu kommen, ist dies ein entscheidender Schritt, denn flexible Leiterplatten dürften in Zukunft den Markt dominieren. 

Ressourcen einsparen – und das Konzept in die Welt tragen

„Wir stehen mit unserer Forschung ein wenig zwischen den beiden Polen: Was wir machen, ist keine pure Grundlagenforschung. Es ist aber auch noch nicht soweit, dass der sogenannte Transfer zur Anwendung und Massenproduktion bevorsteht, was eher gefördert wird. Wir befinden uns in Sachen Förderung ein bisschen im Niemandsland, wo viele Projekte finanziell regelrecht verenden. Die Joachim Herz Stiftung schließt mit ihrem Preis ein Stück weit diese Lücke, was die Auszeichnung noch wertvoller macht“, sagt Kleemann.

Das zweite der drei Vorhaben, das mit dem Preisgeld umgesetzt werden soll: Neben der flexiblen Leiterplatte soll auch ein Verfahren etabliert werden, wie die wichtigen Kupferbahnen ressourcensparender auf die Leiterplatte aufgebracht werden. Bisher ist es nämlich so, dass vereinfacht gesagt auf die gesamte Leiterplatte eine Schicht Kupfer aufgetragen wird und dann – abgesehen von den Stellen, wo die Leiterbahnen bleiben – das Kupfer wieder weggeätzt wird. So gehen meist mehr als 90 Prozent des Kupfers verloren. Auch hier hat die Industrie schon punktuell angefangen, den Prozess umzustellen – aber eben noch lange nicht ausreichend. „Wir wollen nun die Leiterbahnen ähnlich wie in einem Tintenstrahldrucker auf die Leiterplatte drucken. Dafür entwickeln wir derzeit ein Verfahren“, sagt Kleemann.

In der Wissenschaft ist auch vom „Valley of Death“, vom Tal des Todes die Rede: Da hat jemand eine Idee mit Innovationspotential, aber um die Innovation zur Anwendung und zum Produkt zu bringen, fehlen das Geld für die risikoreiche Phase der Prototypenentwicklung und effiziente Strukturen zur Vernetzung mit der Industrie. Deshalb scheitert es am Transfer: Die Wissenschaft, die Grundlagenforschung in Deutschland schafft es häufig nicht in die Anwendung. Es braucht eine Brücke, um das Tal des Todes zu überqueren, und an dieser Brücke baut die Joachim Herz Stiftung mit ihrem Preis mit.

„Was wir machen, ist keine pure Grundlagenforschung. Es ist aber auch noch nicht soweit, dass der sogenannte Transfer zur Anwendung und Massenproduktion bevorsteht."

Dr. Hans Kleemann

Das dritte Vorhaben: Bildung! „Wir wollen das Prinzip von ‚UnbeLEAFable‘ bekannt machen in der Gesellschaft“, sagt Kleemann. Dazu ist man eine Kooperation mit der renommierten Technischen Sammlung Dresden eingegangen, das ist ein Museum und Technischer Bildungsort zugleich. Dort werden auch regelmäßig Workshops Kindergartengruppen, Schulklassen und Erwachsene angeboten. Einer der Workshops soll künftig die Leiterplatten aus Blättern zum Thema haben.

„UnbeLEAFable“ könnte die Fertigung von Leiterplatten revolutionieren

Hans Kleemann plant indes schon für größere Produktionsmengen. Er ist im Gespräch mit Weinbauern, Baumschulen und Pflanz-Vereinigungen, auch mit einem Kloster aus Thailand, das Blätter beisteuern möchte. „Blätter stehen im Grunde unendlich zur Verfügung, das ist der Vorteil. Aber sie müssen natürlich auch eingesammelt und zur Produktionsanlage gebracht werden, das muss alles organisiert werden“, sagt Kleemann. Für die Herstellung weiterer Prototypen reicht aber bislang noch der große Magnolienbaum in der Nähe des Instituts.

Das Team um Kleemann (v.l.n.r.): Klara Hänisch, Bilge Kahraman, Moritz Flemming, Hans Kleemann, Ali Solgi, Niloofar Saeedzadeh Khaanghah. Nicht anwesend beim Fototermin: Rakesh Nair

Die Idee für „UnbeLEAFable“ hatte Hans Kleemann übrigens gar nicht selbst, sondern einer seiner Promovenden, Rakesh Nair. „Rakesh ist unheimlich kreativ, er sprudelt nur so vor Ideen. Bevor er eine verwirklichen kann, hat er schon die nächste tolle Idee. Als er die Idee mit den Blättern als Basis für Leiterplatten hatte, war ich zuerst begeistert. Aber ich war unsicher, ob das wirklich realistisch ist“, berichtet Kleemann. Also erzählte er seinem Kollegen Dr. Tobias Tiedje davon, das Gegenteil von Nair: hochgradig kritisch und auf Details versiert. Entsprechend war die Antwort von Tobias: „So ein Quatsch.“ Das war auch erst einmal für Kleemann ein Rückschlag. Dann, ein paar Wochen später, kam Tobias in sein Büro, aufgeregt, er sagt: „Ich habe das selber mit den Blättern im Labor einmal probiert – das funktioniert ja wirklich!“ Spätestens da wusste Hans Kleemann, dass die Idee mit den Leiterplatten aus Blättern nicht nur verrückt, sondern womöglich auch genial ist. Mittlerweile hat sich das Team von Kleemann mit Forscherinnen und Forschern aus den Materialwissenschaften, der Verfahrenstechnik und Aufbau- und Verbindungstechnik interdisziplinär erweitert: Jetzt kommt bei „UnbeLEAFable“ auch die Biotechnologie mit hinzu. Das ist nur folgerichtig, denn innovative neue Ideen kommen in der Wissenschaft häufig nicht mehr aus einer etablierten Disziplin, sondern entstehen an ihren Rändern und wenn gute Ideen aus unterschiedlichen Fächern aufeinandertreffen.

Die Reportage hat der Journalist Christian Heinrich für die Joachim Herz Stiftung erstellt.

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