Nicola Spaldin

Die Pionierin der Multiferroika-Forschung

Foto: © Roy Smith

Im Interview erklärt die Gewinnerin des Hamburger Preis für Theoretische Physik 2022, was sie bei ihrer Forschung antreibt und welche Rolle Outdoor-Aktivitäten und Musik in ihrem Leben spielen.


Mit einem wegweisenden Fachartikel legte die britische Materialforscherin Nicola Spaldin im Jahr 2000 den Grundstein für die gezielte Erforschung einer neuen Klasse von High-Tech-Werkstoffen. Die kristallinen chemischen Verbindungen, die später Multiferroika getauft wurden, vereinen interessante elektrische und magnetische Eigenschaften und eröffnen faszinierende Anwendungsmöglichkeiten in der Mikroelektronik. Mit ihrer Neugier und Zielstrebigkeit gab Nicola Spaldin vor über 20 Jahren den Startschuss für das boomende Forschungsfeld. Für ihre grundlegenden Arbeiten zur Theorie der Multiferroika wurde sie vielfach ausgezeichnet.


Sie wurden 1969 in der nordenglischen Stadt Sunderland geboren. Ihre Eltern mochten Outdoor-Aktivitäten. Ist das der Grund, dass Sie das Wandern, Klettern und Bergsteigen in Ihrer Freizeit bis heute schätzen?

Während meiner Kindheit und Jugend verbrachten wir all unsere Familienurlaube und auch viele Wochenenden auf dem Land und in der Natur. Im Sommer waren wir wandern, im Winter Skifahren. Ich bin sicher, als Kind habe ich mich oft darüber beschwert, weil es draußen normalerweise kalt war und regnete. Aber am Ende hat mich doch die Begeisterung fürs Wandern und Bergsteigen gepackt. Mit dem Felsenklettern begann ich allerdings erst Ende der 1980er Jahre, als ich zum Studieren an der Universität Cambridge war. Das war auch die Zeit, als meine Eltern ihre regulären Jobs kündigten und in den Lake District zogen, um dort ein Wander-Zentrum zu betreiben.

"Aber am Ende hat mich doch die Begeisterung fürs Wandern und Bergsteigen gepackt" Foto: Roy Smith

Sie haben an der Universität Cambridge Naturwissenschaften studiert, mit Schwerpunkt Chemie und Geologie. Wie alt waren Sie, als Sie herausfanden, dass eine Karriere als Forscherin Ihr Ding sein könnte?

In der Schule mochte ich Mathematik und Naturwissenschaften immer. Als ich mit 16 Jahren meine Schwerpunktfächer wählen musste, nahm ich deshalb Mathe, Physik, Chemie und Musik. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber noch keine Ahnung, was es heißt, eine Karriere als Wissenschaftlerin zu machen oder wie realistisch das überhaupt ist.


Vor Ihrem Büro an der ETH Zürich, wo Sie seit 2011 die Professur für Materialtheorie innehaben, steht ein Klavier, das Sie aus Santa Barbara mitbrachten - wo Sie vor Ihrem Umzug in die Schweiz 14 Jahre lang Professorin an der Universität von Kalifornien waren. Welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben?

Eine wichtige. Heute spiele ich vor allem Klarinette und mache mit großer Begeisterung Kammermusik. Zuhause gemeinsam mit Freunden musizieren, bei einem Glas Wein und einem guten Abendessen – das war das, was ich während des Corona-Lockdowns am meisten vermisst habe. Ich spiele auch in einem Amateur-Orchester, was mir viel Spaß macht.


Was treibt Sie bei Ihrer Forschung zu Multiferroika und anderen innovativen Materialklassen wie Supraleitern, die Strom verlustfrei leiten, an?

Wissenschaftliche Forschung zu betreiben, macht echt Spaß! Jedem kleinen Kind bereitet es Vergnügen, Rätsel zu lösen. Und als Forscherin muss man damit nie aufhören! Ich fühle mich also nicht getrieben von irgendwas, sondern tue das, was mir Freude macht.


Foto © Daniel Rihs
Foto © Daniel Rihs

Was sind Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Anwendungen multiferroischer Materialien, die wir in den nächsten zehn Jahren sehen werden?

Es ist schwer zu sagen, welche Materialen ihren Weg in welche Technologien finden werden, weil dabei viele Faktoren jenseits der rein wissenschaftlichen eine Rolle spielen. Die ursprüngliche technologische Motivation für Multiferroika war, dass man sie verwenden kann, um Magnetismus mit Hilfe elektrischer Felder zu kontrollieren. Das ist attraktiv, weil elektrische Felder viel weniger Energie verbrauchen als die elektrischen Ströme, die heutzutage üblicherweise verwendet werden. Kolleginnen und Kollegen vom Chiphersteller Intel und der Universität Berkeley haben kürzlich ein schönes logisches Bauelement präsentiert, das auf diesem Prinzip beruht.

Darüber hinaus hat sich gezeigt: Die spezielle Chemie von Multiferroika, die Magnetismus und Ferroelektrizität ermöglicht, verleiht ihnen Eigenschaften, die viele völlig unerwartete Anwendungen möglich machen könnten. Zum Beispiel die Spaltung von Wasser, um Wasserstoff als sauberen Energieträger zu erzeugen. Oder die Herstellung umweltfreundlicher Farbstoffe oder von Gerüststrukturen, die Knochen nachwachsen lassen.


Als Professorin für Materialtheorie arbeiten Sie regelmäßig mit Experimentatoren zusammen. Wie wichtig ist diese Kooperation zwischen Theorie und Experiment?

Für theoretische Materialwissenschaftler wie mich ist es sehr wichtig, engen und regelmäßigen Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen zu haben, die Experimente machen: Sowohl, um unsere Ideen zu prüfen, als auch um gemeinsam überraschende Ergebnisse in den gemessenen Daten aufzuspüren und zu erklären. Die Doktorandinnen und Doktoranden und Postdocs in meinem Team haben alle einen experimentellen Partner, mit dem sie eng zusammenarbeiten.


Foto © Daniel Rihs

Für Ihre wegweisenden Arbeiten zu den theoretischen Grundlagen multiferroischer Materialien wurden Sie bereits vielfach ausgezeichnet. Haben die vielen Preise, die Sie bekommen haben, Ihr Leben einfacher gemacht oder eher komplizierter?

Sowohl als auch, würde ich sagen. Finanziell helfen Preise natürlich - viele sind ja mit Fördermitteln für künftige Forschungsprojekte verbunden. Und Preise gewonnen zu haben, kann auch dabei helfen, Gutachtergremien zu überzeugen, dass die eigenen Ideen, die man in einem Forschungsantrag beschrieben hat, es wert sind, gefördert zu werden.

Auf der anderen Seite: Je etablierter man als Forscherin wird, umso schwieriger wird es, sich Zeit für die eigene Forschung freizuschaufeln. Ich muss mich dieser Tage ganz schön anstrengen, um zu verhindern, dass die administrativen Tätigkeiten überhandnehmen. Aber wie dem auch sei: Es ist definitiv eine tolle Bestätigung zu erfahren, dass deine Kolleginnen und Kollegen deine Arbeit schätzen. Und ich bin jenen Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar, die sich beträchtliche Mühe gemacht haben, meine Nominierung für den Hamburger Preis für Theoretische Physik vorzubereiten.


2017 haben Sie den mit 100.000 Euro dotierten L'Oreal-UNESCO-Preis für Frauen in der Wissenschaft bekommen, mit dem herausragende Forscherinnen gefördert werden. Ist es für Frauen immer noch schwerer als für Männer, in der Wissenschaft ihren Weg an die Spitze zu machen?

Es gibt eine große Anzahl von Studien, die dokumentieren, dass die Mitglieder von Gruppen, die in einem bestimmten Gebiet unterrepräsentiert sind, es schwerer haben, in diesem Gebiet erfolgreich zu sein. Solange Frauen in der Wissenschaft unterrepräsentiert sind, werden wir weiter mit diesen Problemen konfrontiert sein.


Der Hamburger Preis für Theoretische Physik bringt es mit sich, dass Sie einige Zeit in Hamburg verbringen werden, um sich mit den Forschenden, Lehrenden und Studierenden in der Hansestadt auszutauschen. Was erwarten Sie von Ihrem Aufenthalt in Hamburg?

Ich habe viele Kolleginnen und Kollegen in Hamburg und freue mich, dass ich jetzt eine Ausrede habe, um mehr Zeit damit zu verbringen, mit ihnen zu diskutieren und zusammen zu arbeiten! Und ich freue mich auch auf die direkte Begegnung und den Austausch mit den Studierenden der Universität Hamburg und am DESY. Und natürlich plane ich auch einen Besuch in der Elbphilharmonie.


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