Jeder Schultag zählt

Strategien gegen Scheitern

Ein leeres Klassenzimmer

Schätzungen zufolge fehlen in Deutschland fünf bis zehn Prozent aller Schüler:innen regelmäßig im Unterricht, knapp sechs verlassen die Schule ohne Abschluss. Was können Schulen gegen Absentismus und Dropout unternehmen - diese Frage stand im Mittelpunkt des Projekts "Jeder Schultag zählt".


Auf einen Blick



Traditionell wird schulischer Absentismus als schulrechtliches Problem betrachtet, das durch Sanktionen und Zwangsmaßnahmen bestraft wird. Viel wichtiger ist es aber, die Anwesenheit und Teilhabe am Unterricht und Schulleben zu stärken und einen effektiven Umgang mit Fehlzeiten zu verfolgen.

Von 2019 bis 2022 haben die Grundschule Neugraben, die Grundschule Großlohering, die Grund- und Stadtteilschule Altrahlstedt sowie die Stadtteilschule Süderelbe unter Leitung des bundesweit anerkannten Absentismusforschers Professor Heinrich Ricking und einem Team der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg effektive und praxisnahe Strategien gegen schulisches Scheitern erprobt und so die Anwesenheitsquoten ihrer Schüler:innen erhöht.

Ursachen und Formen von Schulabsentismus

Schulabsentismus umreißt als Fachbegriff alle Problemlagen und Verhaltensmuster, bei denen Schüler*innen unautorisiert der Schule fernbleiben. Schulabsentismus ist vielfältig und lässt sich in drei Formen unterscheiden:

  • Aversives Schulschwänzen: Mit dem Schulschwänzen geht das Aussetzen von Unterricht zugunsten einer angenehmeren Aktivität, vor allem im außerhäuslichen Bereich während des Vormittags, einher, wobei die Schüler:innen häufig abweisende Gedanken und Gefühle gegenüber der Schule entwickelt haben.
     
  • Angstbedingte Schulmeidung: Die angstbedingte Schulverweigerung impliziert, dass die Schüler:innen aufgrund ihres Angsterlebens die Schule meiden. Diese Form geht häufig mit konkreten Faktoren (z. B. Mobbing oder Versagensängste) sowie mit psychosomatischen Beschwerden einher.
     
  • Zurückhalten durch Erziehungsberechtigte: Bei den Versäumnissen mit Elternduldung bzw. Zurückhalten ist das entscheidende Kriterium das Einverständnis, die Unterstützung oder die Duldung der Erziehungsberechtigten zum Fernbleiben von der Schule.

 

 


9 Tipps gegen Absentismus und für mehr Haltekraft

1. Eine offene Haltung im Kollegium, die zu pädagogischen Lösungen führt

Eine wichtige Voraussetzungen ist eine offene und lösungsorientierte Einstellung von Lehrkräften, aus der hilfreiche Aktivitäten zur Prävention von Fehlzeiten entstehen:

  • keine Bagatellisierung
  • individuelle Fallklärung
  • soziale Einbindung von Schüler:innen fördern
  • Gewöhnungsprozess unterbinden
  • Lernerfolge ermöglichen
  • Warnsignale erkennen

Das Poster kann hier heruntergeladen werden.

2. Eine klare Datenlage über An- und Abwesenheit

Voraussetzung für einen angemessenen Umgang mit Schulversäumnissen ist, dass sie überhaupt bemerkt werden. Das heißt die Schüleranwesenheit muss im Fokus der Lehrkräfte sein, entsprechende Routinen in der Datenaufzeichnung sollten etabliert werden, um so eine Einschätzung der Lage zu ermöglichen und Muster zu erkennen.

2. Eine verlässliche und unmittelbare Reaktion der Schule auf Versäumnisse

Treffen weder Entschuldigung noch Schüler:in in der Schule ein, müssen Lehrkräfte oder zuständiges Schulpersonal zeitnah reagieren, zum Beispiel durch einen Anruf bei den Erziehungsberechtigten oder dadurch, die Schülerin oder den Schüler aufzusuchen, anzusprechen oder abzuholen. So unterstreicht die Schule die Bedeutung der Anwesenheit jedes einzelnen Kindes und Jugendlichens, signalisiert Kenntnis und eine klare Haltung. Im Ernstfall kann die Schule ein Absentismusverfahren einleiten. Dabei ist genau festgelegt, welche Handlungen folgen und welche Hilfen von außen hinzuzuziehen sind.

4. Positive Räumlichkeiten und gutes Schulklima

Die Schulatmosphäre trägt erheblich dazu bei, dass sich alle an ihr Beteiligten gerne in der Schule aufhalten. Darum haben die vier Hamburger Schulen gemeinsam mit ihren Schüler:innen Räume und Außengelände umgestaltet, damit diese stärker den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen entsprechen und eine emotionale Bindung an die Schule gelingt. An der Stadtteilschule Altrahlstaedt verschönerte ein Jahrgang beispielsweise die Toiletten mit lila Kacheln und Schnörkelspiegeln, ein anderer richtete einen Aufenthaltsraum hübsch ein. So wird Schule zu einem Ort des Wohlfühlens.

5. Sicherheit aller Schüler:innen

Soziale Konflikte gehören zum schulischen Alltag. Schule und Lehrkräfte haben vielfältige Möglichkeiten, Gewalt und Mobbing vorzubeugen. Gewalt beeinträchtigt das soziale Klima in der Schule und hat einen großen Einfluss darauf, ob Schüler:innen regelmäßig in die Schule gehen. Das Praxishandbuch "Jeder Schultag zählt" stellt Deeskalationsmaßnahmen und konkrete Maßnahmen gegen Mobbing vor.

6. Positive Beziehung schaffen

Gerade im Umgang mit auffälligen Verhaltensweisen im Unterricht ist es eine besondere Herausforderung zu entscheiden, wie viel Freiheiten und wie viel Grenzen die Schülerin bzw. der Schüler benötigt. Dies bedeutet im Einzelfall, ein sensibles Gespür dafür zu entwickeln, wie viel Wärme und Zuwendung der jeweilige Schüler im schulischen Alltag braucht.

7. Förderung der emotional-sozialen Kompetenzen von Schüler:innen

Schüler:innen, die nur unregelmäßig die Schule besuchen, haben oft einen ausgeprägten Beratungsbedarf. Sie benötigen Informationen und Unterstützung zur Lösung ihrer Probleme, um Verhaltensalternativen zu Flucht- oder Meidungshandlungen zu entwickeln. Auch wenn Schulabsentismus das grundlegende Problem ist, sollten Schüler:innen darin bestärkt werden, mit den eigenen Fähigkeiten wirksame Veränderungsprozesse einzuleiten.

Lehrkräfte und Schulen können zum Beispiel:

  • Beratung anbieten
  • emotional-soziale Kompetenzen ihrer Schüler:innen trainieren
  • Buddy-Konzepte nutzen
  • positives Verhalten verstärken
  • Problemlösestrategien erarbeiten
  • Selbstregulation fördern

8. Eine gute Kooperation mit den Erziehungsberechtigten

Um Schulabsentismus zu vermeiden, ist eine enge Kooperation zwischen Erziehungsberechtigten und Schule wichtig. Erziehungs- und Bildungspartnerschaft bedeutet aber nicht nur den Austausch von Informationen über Verhalten, Entwicklung und Erziehung des Kindes in Familie und Schule, sondern sie geht einen entscheidenden Schritt weiter: Eltern, Erzieher:innen und Lehrkräfte versuchen, ihre Erziehungs- bzw. Bildungsziele, -methoden und -bemühungen aufeinander abzustimmen, den Erziehungs- und Bildungsprozess gemeinsam zu gestalten, sich wechselseitig zu ergänzen und zu unterstützen. So soll eine gewisse Kontinuität zwischen den Lebensbereichen der Kinder und Jugendlichen entstehen.

9. Vernetzung mit außerschulischen Einrichtungen

Der Erfolg von Absentismusprävention hängt entscheidend von einer guten Kooperation zwischen Schulen und den unterstützenden Diensten im Umfeld und auf unterschiedlichen Ebenen ab. Es ist daher wichtig Barrieren abzubauen, die mit Differenzen im Gegenstandsverständnis, nicht erkannten Kooperationsnutzen, mit personellen oder zeitlichen Ressourcen oder mit der strukturellen Einbindung der Kooperation zu tun haben.


Eine wirksame Prävention von Schulabsentismus ist nicht durch eine singuläre Maßnahme zu erreichen, sondern in ein stimmiges Gesamtkonzept innerhalb einer positiven Schulkultur einzubetten. Das heißt Schulleitungen, Lehrkräfte und schulische Mitarbeiter:innen müssen immer verschiedene Aspekte in den Blick nehmen.


Ergebnisse aus den Projektschulen

Trotz ungünstiger pandemiebedingter Rahmenbedingungen zeigen die Projektergebnisse, dass die Grundschule Neugraben, die Grundschule Großlohering, die Grund- und Stadtteilschule Altrahlstedt sowie die Stadtteilschule Süderelbe deutliche Fortschritte bei der Prävention von Absentismus gemacht haben.

  • Alle Schulen haben an der systematischen Registratur von An- und Abwesenheiten gearbeitet. Dabei ging es um technische Voraussetzungen, um Hard- und Software, aber auch um die Überzeugung und Motivation der schulischen Kolleginnen und Kollegen, dass diese Registratur und schnelle Reaktionen auf Fehlzeiten wichtig sind.
     
  • Alle teilnehmenden Schulen haben in die Prävention von Schulabsentismus investiert. Sie haben besondere Aufmerksamkeit auf Fehlzeiten gelegt, sich im Kollegium über mögliche Ursachen ausgetauscht und fortgebildet. Sie haben Abläufe verändert und neue, präventive Strukturen etabliert. Zum Beispiel ganz konkret, wer die Namen fehlender Schülerinnen oder Schüler am Morgen "einsammelt" und die Eltern zeitnah kontaktiert.
     
  • Alle Schulen haben Formen der Beteiligung eingeführt und an ihren Raum- und Zeitkonzepten gearbeitet. Dabei ging es konkret um einen neuen Rhythmus des Schultages an einer Grundschule oder um ansprechende Pausenräume und die Gestaltung des Pausenhofs an weiterführerden Schule.

Viele Projektbeteiligte sind sich sicher, dass "Jeder Schultag zählt" nicht nur Absentismus entgegenwirkt, sondern auch die Schule qualitativ verbessert. Zum Beispiel die Grund- und Stadtteilschule Altrahlstedt.

Dieser Film wird bei YouTube gehostet. Das Video wird erst nach Anklicken des Buttons aktiv. Bitte beachten Sie, dass es dabei zur Übermittlung von Daten in die USA mit unsicherem Datenschutzniveau kommt.


Eigene Strategien gegen Absentismus entwickeln

Praxishandbuch für die Schule zur Prävention und Intervention von Schulabsentismus

Die Inhalte vermitteln wissenschaftlich abgesichertes Handlungswissen, geben konkrete Interventionsmaßnahmen und helfen, die Professionalität von Lehrkräften zu erhöhen. Lehrkräfte erhalten Tipps und Methoden für die Praxis, Checklisten, Kopiervorlagen und ein Poster für das Lehrerzimmer. 

Alle Materialien aus dem Projekt können hier heruntergeladen werden.

 

Handbuch herunterladen


Kontakt

Maren Riepe
Projektleiterin heimspiel.Für Bildung Maren Riepe +49 40 533295-28

Über das Projekt

„Jeder Schultag zählt" ist ein Kooperationsprojekt der Joachim Herz Stiftung, der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung.

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