"Durch die Entwässerung von Mooren wurde die Büchse der Pandora geöffnet"

Was Moore mit Klimaschutz zu tun haben

Auf dem Bild ist eine Wasserfläche mit vielen Pflanzen drumherum abgebildet. Die Sonne geht unter und wirft ein schönes Licht auf die Moor-Wasser-Fläche.

Weniger als 5 Prozent der Moore in Deutschland sind noch intakt. Die Flächen wurden vor mehreren Hundert Jahren vom Menschen trockengelegt – ein Prozess, der anhält. Dabei speichern Moore mehr CO₂ als alle Wälder der Welt zusammen. Warum es so wichtig ist, die noch intakten Flächen zu schützen und bereits trockengelegte Moore wieder zu vernässen, berichtet der Moor-Experte Uwe Fuellhaas von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt in unserem Interview.


Auf dem Foto ist Herr Fuellhaas zu sehen. Er lächelt in die Kamera.
Foto © Andreas Dannhauer

Über Uwe Fuellhaas

Dr. Uwe Fuellhaas ist Diplombiologe und arbeitet seit 2001 bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, bzw. der Tochter DBU Naturerbe GmbH. Dort ist er für die Themen Offenland, Gewässer, Feuchtgebiete zuständig und hat schon viele Flächen an trockenen Mooren renaturiert.

Für Moore interessiert sich Uwe Fuellhaas schon lange und widmete sich dem Thema bereits im Studium und in seiner Dissertation. 


Herr Fuellhaas, was fasziniert Sie an Mooren?

Meine Begeisterung für Moore ist durch die Besonderheit dieser Lebensräume entstanden. Intakte, gut wasserversorgte Moore haben eine ganz eigene und besondere Flora und Fauna. Das Moor ist ein extremer Lebensraum und nicht für jeden Organismus gemacht. Die Lebewesen, die dort vorkommen, sind absolute Spezialisten. Wer unter diesen extrem feuchten Lebensbedingungen überlebt, der hat es drauf, muss man sagen. Außerdem bin ich im Norden Deutschlands aufgewachsen und da sind Moorlandschaften stete Begleiter.

Sie bezeichnen sich selbst als "Vernässer". Was genau macht ein Vernässer?

Den Begriff gibt es so natürlich nicht, den haben wir uns selbst gegeben. Man würde vielleicht eher sagen „Moor-Renaturierer“. Aber es steckt eigentlich genau das drin, was bei der Wiederbelebung bzw. Renaturierung von Mooren gemacht wird: Man macht sie wieder nass. Um zu verstehen, warum Moore vernässt werden, muss man auch wissen, weshalb sie überhaupt trockengelegt wurden.

Trockenlegung der Moore

Seit dem 17. Jahrhundert werden Moore systematisch entwässert. In Deutschland und Europa gab es große Moorflächen, die für Menschen fast nicht nutzbar waren. Mithilfe von Abwassergräben und Drainagen wurden und werden die Moore systematisch entwässert, um sie für den Torfabbau, die Landwirtschaft und den Siedlungsbau zu nutzen. Das ist problematisch, denn nur intakte Moore können CO₂ aufnehmen und speichern. Für eine vollkommene Renaturierung müssen sämtliche Entwässerungssysteme verschlossen werden, sodass das Wasser in den entsprechenden Flächen bleiben kann.

Intakte Moore sind hervorragende Kohlenstoffspeicher. Was passiert, wenn diese entwässert werden?

Das ist die Problematik an der Geschichte. Durch die sukzessive Entwässerung von Mooren hat man quasi die Büchse der Pandora geöffnet. Man muss sich das so vorstellen: Bei Mooren handelt es sich um organische Böden, also im Prinzip Kohlenstoff, der unter Luftabschluss gelagert wird. Das heißt, es kann nichts verwesen und es kann keine Oxidation, also eine Verbindung mit Sauerstoff, stattfinden – es wird quasi ein Deckel draufgelegt. Dann ist das CO₂ erstmal weg aus der Atmosphäre. Wenn ich aber den Wasserspiegel senke, werden diese Inhalte bzw. Torfe durchlüftet, es kommt Sauerstoff in diese Bereiche und die Oxidation beginnt. Der Kohlenstoff, der zuvor eingelagert war, geht als schädliches CO₂ in die Atmosphäre. Und das sind große Mengen. Es gehen 30 Tonnen CO₂ pro Hektar pro Jahr nach oben, das ist enorm. Eine Tonne CO₂ entspricht etwa einem Mittelstreckenflug. Wenn man das weltweit hochrechnet, ist das schon eine Hausnummer.

Wie steht es um die Situation der Moore?

Deutschlandweit sind etwa 95 Prozent der Moore in keinem guten Zustand, sprich naturfern. Das heißt, wir haben weniger als fünf Prozent, die in einem guten Zustand sind. Intakte Moore in Deutschland haben wir beispielsweise noch im Alpenvorland und im Harz. Tatsächlich auch schon einige Moore, die wieder renaturiert wurden, wie beispielsweise in der  Dümmer-Niederung, ein großes Moorgebiet südlich von Diepholz. Richtig große, intakte Moore gibt es zum Teil noch in Skandinavien und Sibirien.

Situation der Moore weltweit und in Deutschland

Fast alle Moore weltweit sind bedroht. Viele Moorwälder in den tropischen Regionen werden für intensive Landwirtschaft entwaldet und entwässert. Moorflächen im Kongobecken und im Amazonas sind aufgrund der Klimakrise zudem extremen Dürreperioden ausgesetzt.

Bis zum Jahr 2050 sollen die Länder Europas, darunter auch Deutschland, klimaneutral werden. Dies ist nur mit sehr konsequentem Moorschutz möglich. Wenn wir beispielsweise die trockengelegten Moorflächen in Deutschland renaturieren, könnten bis zu 35 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente im Jahr eingespart werden. Um dies zu erreichen, müssen wir jährlich 50.000 Hektar wiedervernässen. Das entspricht einer Fläche, die so groß wie der Bodensee ist.

Ein Tipp für diejenigen, die tiefer einsteigen möchten: Der Mooratlas des BUND.
 

Zum Moor-Atlas

Herr Fuellhaas auf steht auf einem Kippwehr, das den Wasserstand auf regulieren kann. Er schließt die Schleuse, sodass das Wasser auf der entsprechenden Seite bleiben kann.
Dr. Uwe Fuellhaas auf einem Kippwehr / Foto © Dr. Axel Precker

Wie werden Moore wieder nass?

Es gibt drei wichtige Faktoren bei der Wiedervernässung von Mooren: Wasser, Wasser, Wasser. Wenn es keine Möglichkeit gibt, viel Wasser in die Moore zu bringen, dann wird das mit der Moor-Renaturierung nichts. Wir müssen also das Wasser, das aus diesen Flächen heraus befördert wurde, wieder auffüllen. Das ist herausfordernd. Einerseits versucht man, Entwässerungsstrukturen, wie Drainagen oder Gräben, funktionslos zu schalten, indem einfach Torf oder Erde hineingeschüttet wird. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Kippwehre einzusetzen, sodass der Wasserstand in den Gräben reguliert werden kann. So können Landwirt:innen die Fläche weiterhin bewirtschaften.

Es ist also möglich, dass ein Moor gleichzeitig als Kohlenstoffspeicher, Lebensraum und Landwirtschaftsfläche zu nutzen?

Kippweh ist offen und das Wasser kann hindurchfließen
Ein Kippwehr, das offen ist / Foto © Dr. Uwe Fuellhaas

Das ist, um ehrlich zu sein, nur die halbe Wahrheit. Besser ist es natürlich, wenn das Moor komplett und ganzjährig nass ist. Das ist die optimale Form der CO₂-Speicherung. Im Gelbensander Forst, einem Projekt von uns, ist ein Entwicklungsziel die Förderung und Erhaltung von Feucht- und Nasswiesen, in Abstimmung mit den Naturschutzbehörden.

Welche Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Wiedervernässung von Mooren?

Zum Teil ist das eine sehr emotionale Sache. Viele Familien, die Landwirtschaft betreiben, tun dies schon seit Generationen und oftmals haben die Urgroßväter schon zur Entwässerung der Moore beigetragen, um Weide- und Ackerland als Grundstein für ihre Familien zu schaffen. Wenn man jetzt hingeht und alles wieder unter Wasser setzt, finden das nicht alle toll. Zudem müssen unterschiedliche Interessen zusammengebracht werden: Die des Naturschutzes, der Behörden und den Landwirt:innen. Es muss viel Vertrauensarbeit geleistet werden, um die Beteiligten zu überzeugen. Und man muss früh genug anfangen und die entsprechenden Stakeholder einbinden – auch die Bevölkerung.

Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Menschen gegenüber Mooren auch Vorbehalte haben.

Ganz klar! Menschen hatten schon immer viel Respekt vor Mooren und assoziieren damit, dass sie neblig, dunkel und ständig nass sind. Zudem waren die Moorlandschaften unüberbrückbar – wie ein großer Fluss. Wenn ich mehrere Quadratkilometer Moor vor mir habe, muss ich im Prinzip einmal außen herum. Das heißt, Moore waren auch immer Elemente in der Landschaft, in die ich als Mensch nicht hin konnte. Und dieser Gedanke hat sich, so glaube ich, bis heute gehalten und dass es eigentlich besser ist, wenn sie trocken sind, weil wir sie dann als beherrschbar empfinden.

Klimawandel und Klimaschutz sind in den vergangenen Jahren zu einem drängenden Thema geworden. Moore spielten bisher in der öffentlichen Debatte darüber in der Regel keine große Rolle. Das hat sich geändert. Wie erklären Sie sich die Aufmerksamkeit, die das Thema Moore erfährt?

Das Gute ist, dass man mittlerweile erkannt hat, was die Wissenschaft wirklich schon lange prognostiziert: Es treiben gigantische CO₂-Emissionen aus den Mooren heraus. Gleichzeitig sind sie aber geniale Kohlenstoffspeicher. Hier gilt es anzusetzen. Und auch die Politik hat es eingesehen – was ja immer wichtig ist. Wenn die Politik hinter einem steht, dann gehen Dinge einfacher. So können solche Vernässungs-Projekte auch auf den Weg gebracht werden.

Welches gute Beispiel fällt Ihnen dazu ein? 

Als Positivbeispiel kann ich auf jeden Fall den Dümmer-Niederung nennen. Da sind die Akteure seit 25 Jahren dabei, Flächen wiederzuvernässen und es gab vorher große Vorbehalte. Es haben sich regelrecht Lager gebildet. Einerseits der Naturschutz, dann der Tourismus und natürlich die Landwirtschaft. Und alle Beteiligten waren sich spinnefeind. Da hat man dann den Eigentümern große Flächen abgekauft, viel Kommunikationsarbeit betrieben und dann die Flächen wieder vernässt. Heute fahren sehr viele Menschen dort hin, um sich an der außergewöhnlichen Flora und Fauna zu erfreuen und diese zu genießen. Wenn das in den anderen Gebieten auch passiert, wäre das doch perfekt.

Welche Argumente haben Sie für Menschen aus dem Tourismus oder der Landwirtschaft, die der Vernässung skeptisch gegenüberstehen?

Der Tourismus leidet erstmal gar nicht darunter. Bei uns ist es so, dass wir als Naturerbe GmbH zum Beispiel Eigentümerin von Flächen sind und Landwirte diese Flächen pachten. Man muss sie dann früh genug darauf hinweisen, dass die entsprechenden Flächen perspektivisch vernässt werden und eine intensive Landwirtschaft nicht mehr möglich ist. Die Landwirt:innen können sich entscheiden, ob sie mit uns die Flächen im Sinne des Naturschutzes pflegen oder ob sie weiter intensive Tierhaltung oder Ackerbau betreiben wollen. Bei Letzterem müssen sie sich dann neue Flächen suchen.

Welche Möglichkeiten haben wir Bürger:innen Moorschutz zu unterstützen?

Ich glaube, die Möglichkeiten des Einzelnen sind leider sehr gering. Es sei denn, es gibt beispielsweise Fonds oder Spendenaktionen, mit denen Flächen gekauft werden. Bei Eigentum hat man das Sagen und kann im Prinzip die Zielrichtung vorgeben. Hier muss die Weltgemeinschaft zusammenarbeiten und diese letzten schützenswerten Areale erhalten – und ihnen einen gewissen Wert geben. Hier muss man sich ein System überlegen, dass es sich einfach nicht lohnt, diese Flächen für die Landwirtschaft trockenzulegen. Durch meine Arbeit bei der DBU Naturerbe GmbH habe ich seit Jahren die Möglichkeit selbst „an der Wasserschraube zu drehen“. Dabei helfen uns tolle Projekte mit engagierten Partnern, wie beispielsweise mit der Joachim Herz Stiftung in den Peenewiesen auf Nordusedom, damit wir entwässerte Moore ganzjährig wieder mit ausreichend Wasser versorgen können.

Wiedervernässungs-Projekt "Peenemünder Moor"

Mit dem Projekt „Peenemünder Moor“ hat sich die Joachim Herz Stiftung zum Ziel gesetzt, die langfristige und vollständige CO₂-Kompensation des Geschäftsbetriebs (carbon neutral) zu gewährleisten.

Weitere Informationen

Die Vogelart Bekassine: Der Vogel hat einen länglichen Schnabel und läuft durch das Wasser
Bekassine

Wann geht Ihnen das Herz auf, wenn Sie Moore besuchen?

Wenn ich beispielsweise im Frühjahr in der Balzzeit die Bekassine, das ist so ein klitzekleiner Schnepfenvogel, sehe und höre. Die kommen nur in richtig feuchten Gebieten vor. Die Männchen gehen in dieser Zeit in den Sturzflug und dabei kommen die Federn in eine Vibration. Das klingt so richtig meckerig. Deshalb werden diese Vögel auch Himmelsziegen genannt. Wenn ich diese Vögel höre, dann weiß ich, das ist ein richtig guter Moorbereich.

Was wünschen Sie sich für die Moore?

Für die Moore wünsche ich mir, dass sie noch mehr in den öffentlichen Fokus rücken und dass die Pläne, die man schmiedet, realisierbar sind und es kein blinder Aktionismus ist. Und dass Menschen verstehen, weshalb trockene Moorflächen renaturiert werden.

Eine letzte Frage: Welches ist ihr Lieblingsmoor?

Da mein erstes Projekt zum Thema "Moor" im Rahmen eines größeren Forschungsvorhabens in der Dümmer-Niederung war, ist dies auch mein Lieblingsmoor. Am Dümmer begann auch meine Zeit im Naturschutz und ich habe es noch als große entwässerte Fläche gesehen, die von viel intensivem Grünland und Ackerflächen durchzogen war. Heute befinden sich dort wieder riesige vernässte Flächen. Eine große Leistung der Behörden und auch der ehrenamtlichen Naturschützer:innen. Da geht einem schon das Herz auf, wenn man sieht, dass man Dinge umkehren kann.

Vielen Dank für das Interview, Herr Fuellhaas.

Moorschutz - Mitmachen

Einzelpersonen, die sich für den Moorschutz engagieren möchte, können zum Beispiel Organisationen wie den NABU oder den BUND unterstützen. Diese Initiativen kümmern sich um den Moorschutz, indem sie Moorflächen erwerben, Moore renaturieren oder politische Arbeit im Sinne des Klima- und Moorschutzes betreiben.

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